Gesellschaft für Wissenschafts- und Technikforschung e.V.
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Call for Papers (pdf)

Jahrestagung der Gesellschaft für Wissenschafts- und Technikforschung
am 13. und 14. November 2024, TU Dortmund (Campus Stadt / Dortmunder U)

Organisation: Stefan Böschen, Katharina Kinder-Kurlanda, Jan-Hendrik Passoth, Cornelius Schubert

Wissenschaft, Technik und Gesellschaft in einer multipolaren Weltordnung?
Wissenschaftsfreiheit, Technosolutionismus, Transformation

Die Verhältnisse von Wissenschaft, Technik und Gesellschaft werden aktuell neu bestimmt. Besonders augenfällig ist, dass die Wissenschaftsfreiheit in den letzten Jahren massiv bedroht wird. Der Blick auf die USA und die gegenwärtige Auseinandersetzung zwischen dem dortigen Präsidenten und den Eliteuniversitäten des Landes zeichnen ein geradezu dystopisches Bild. Wissenschaft wird darüber hinaus stärker als Instrument einer innovationsbasierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verstanden, die durch Startups und Transfer eine tragende Rolle im Fortschrittsparadigma der Spätmoderne einnehmen soll. Technische Möglichkeiten sollen hingegen weitgehend von rechtlichen Rahmenbedingungen entfesselt werden. Das betrifft vor allem die neuen Basistechnologien digitaler Informationsinfrastrukturen, wie Blockchain oder generative KI, die als ultimative Problemlösungsversprechen für gesellschaftliche Herausforderungen in Stellung gebracht werden. Das passiert in einer Zeit, in der die bisherigen politischen Weltordnungen ebenfalls neu geschrieben werden und die großen gesellschaftlichen Herausforderungen dringend nach intensiven Anstrengungen verlangen. Wissenschaft und Technik sind damit inhärenter Teil der aktuellen Polykrise, wenn epistemische, technische und gesellschaftliche Gewissheiten immer weiter in Frage gestellt werden.

Die Neubestimmungen und -gestaltungen der Verhältnisse von Wissenschaft, Technik und Gesellschaft geben dabei reichlich Grund zur Sorge. Wenn Wissenschaftsfreiheit gezielt und öffentlich angegriffen wird, wenn Wissenschaftsskepsis bzw. Wissenschaftsfeindlichkeit auch in politischen Kreisen anschlussfähig oder gar von ihnen angetrieben werden, wenn technosolutionistische Versprechen gesellschaftlichen Wandel ausbremsen oder rechtsstaatliche Verfahren mit technischen Systemen ausgehebelt werden, dann steht in der Tat sehr viel auf dem Spiel. Wie Wissenschaft, Technik und Gesellschaft miteinander zusammenhängen, ist dabei eine der zentralen Fragen der Wissenschafts- und Technikforschung. Dass ihre Verhältnisse immer wieder neu bestimmt werden, eine zentrale Erkenntnis. Wie aber mit den aktuellen Herausforderungen umgehen? Gerade in den letzten Jahren wurden Fragen diskutiert, welche sich Wissenschaft in post-faktischen Gemengelagen verhalten kann, wie Informationsinfrastrukturen und Desinformation zusammenhängen und insgesamt, welche Rolle Wissenschaft und Technik für eine demokratische und offene Gesellschaft spielen.

Die diesjährige Tagung der GWTF rückt diesen Problemkomplex ins Zentrum und will ihn in explorativer Absicht vielgestaltig, auch über die Grenzen der Wissenschafts- und Technikforschung hinaus, diskutieren. Wenn Geschlechterforschung, Klimaforschung oder Nachhaltigkeitsforschung als „irrelevant“ oder gar „schädlich“ markiert werden, dann ist das nicht allein von Nachteil für einzelne Fachcommunities, sondern es kommt das gesamte Wissenschaftssystem unter Druck. Wissenschaft kann sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung mit Verweis auf ihre Autonomie eben auch nicht entziehen. Technik fügt diesem Komplex eine weitere Ebene hinzu, wenn es um die Entwicklung und Nutzung von gesellschaftlichen Kommunikationstechnologien oder politisch-ökonomischen Zukunftstechnologien geht.

Wir suchen Beiträge aus den verschiedenen Feldern der Wissenschafts- und Technikforschung, die sich mit den oben genannten Spannungen auseinandersetzen und die gegenwärtigen Verschiebungen in den Relationen von Wissenschaft, Technik und Gesellschaft empirisch wie theoretisch sondieren. Themenbereiche sind dabei insbesondere, aber nicht exklusiv:

  • Exponierte Felder: Es gibt spezifische, politisch umkämpfte Wissensgebiete, in denen Verschiebungen in den Grenzgebieten zwischen Wissenschaft, Technik und anderen gesellschaftlichen Feldern zu beobachten sind. Jedoch sind diese Verschiebungen je nach den materiellen, kulturellen und institutionellen Bedingungen sowie dem Grad der Politisierung doch unterschiedlich. Klimaforschung steht in anderen Konfliktlinien als Geschlechterforschung als Ernährungsforschung. Gleichwohl wird im Medium von Wissen Politik verhandelt.
  • Ungesehene Erosionen: Weniger offensichtliche Verschiebungen und Unsicherheiten sind ebenso zu erwarten. Wir vermuten, dass es auch solche Felder gibt, die gleichsam unter der Aufmerksamkeitsschwelle öffentlich-politischer Thematisierung liegen, ohne dabei aber weniger wichtig bezüglich der damit verbundenen Transformationsdynamiken zu sein. Wissenschafts- und Technikforschung erhält hierbei gleichsam einen investigativen Charakter.
  • Kulturell-institutionelle Bedingungen: Spannungsfelder, mögliche Widersprüche und ‚unintended consequences‘, die sich z.B. in ausgesuchten Bereichen der Regulierung ergeben, wenn Wissenschaft und Technik für spezifische politische Aufgaben als Expertise gebündelt und verwaltungsförmig bearbeitbar organisiert werden. Diese kulturell-institutionellen Bedingungen können sich aber zugleich als Unterschiede zwischen unterschiedlichen Regionen der Welt zeigen, wenn etwa problem-orientierte Forschung und Technologieentwicklung in den USA anders durchgeführt wird als in China.
  • Wissenschaft und Demokratieentwicklung: Demokratie ist ohne eine freie Wissenschaft nicht zu denken. Die Garantiefunktion von prinzipiell möglichen wahrheitsfähigen Aussagen, die frei von Interessen sind, korrespondiert mit der Bedeutung von Konsensfähigkeit in Demokratien. Gerät Wissenschaft unter Druck, dann ebenso Demokratie. Nicht so für Autokratien, in denen eine gerichtete Wissenschaft mitunter sehr gut gedeihen kann. Somit stellen diese Relationen zwischen Wissenschaft und ihren jeweiligen politisch-institutionellen Kontexten einen wichtigen Suchhorizont dar.
  • Reflexivität, Kritik und Verantwortung in der Wissenschafts- und Technikforschung: Schließlich stellt sich in guter symmetrischer Manier die Frage nach der eigenen Positionierung von Wissenschafts- und Technikforschung inmitten dieser Prozesse. Welche innovativen Ansätze, besonderen Formen der Selbstverortung und derzeitige Rollenverschiebungen lassen sich beobachten? Welche Formen der Reflexivität sind hierbei produktiv – welche vielleicht auch nicht?

Die Jahrestagungen der GWTF sind Orte intensiven wissenschaftlichen Austauschs. Wir legen Wert auf tiefergehende Präsentationen, ausführliche Diskussionen der Vorträge und ausreichend Zeit für Nachfragen und Austauschmöglichkeiten in den Pausen. Teilnehmer*innen aus allen Karrierestufen sind willkommen. Während der Tagung können Kinder von Referent*innen betreut werden. Die Betreuungskosten übernimmt die GWTF.

Beitragsvorschläge mit Titel und Abstract (~300 Worte) werden bis 18. Juli 2025 erbeten an:
tagung@gwtf.de.

Veranstaltungsort:
Technische Universität Dortmund
Campus Stadt / Dortmunder U (OSM-Karte)
Leonie-Reygers-Terrasse
44137 Dortmund

ÖPNV-Haltestelle: U43 & U44 Westentor oder zu Fuß von Dortmund Hbf

Zuletzt aktualisiert am 10.06.2025 [zum Seitenanfang] [Impressum/Datenschutzerklärung]